Bericht der Präsidentin, Ambra Laurenzi
Die durch die Pandemie erzwungene Unterbrechung trifft das IRK in einer Zeit des Übergangs, in der es mit dem Übergang der Präsidentschaft auf die zweite Generation am Beginn einer wichtigen Phase steht, die uns - wie wir wissen - mit der Notwendigkeit konfrontiert, neue Ziele und zugleich auch neue Methoden zu finden.
Hanna hat Recht, wenn sie mir schreibt, dass wir Instrumente und neue Formen der Ansprache finden müssen, um die neuen Generationen zu erreichen.
Diese Pandemie hat uns vielleicht etwas gelehrt, und einige der Instrumente, die wir gerade zu nutzen gelernt haben, werden uns auch in Zukunft nützlich sein. Ich denke an die Möglichkeit virtueller Treffen wie dieses, an dem wir heute teilnehmen. Wir sollten uns nicht auf die alljährlichen turnusmäßigen Treffen beschränken, sondern zusätzlich dieses digitale Werkzeug nutzen, um uns eine "Live-Plattform" zu schaffen, bei der sich ein potenziell größeres Publikum dazuschalten kann und auch Gastrednerinnen zu bestimmten Themen im Zusammenhang mit der Deportation und dem Lager Ravensbrück aktiv zu Wort kommen. Diese Treffen könnten sogar problemlos aufgezeichnet und dann uneingeschränkt in Schulen oder anderswo eingesetzt werden, wie es bereits üblich ist.
Ich denke da an eine Veranstaltungsreihe, bei der Bücher vorgestellt, aktuelle Themen im Zusammenhang mit der Historischen Erinnerung diskutiert und vertiefende Untersuchungen zu wichtigen Punkten in der Geschichte der Deportationen angestellt werden: keine einfachen Gedenkzeremonien, sondern Gelegenheiten zur Reflexion und Auseinandersetzung, die sich an ein anderes und auch jüngeres Publikum richten als jenes, was üblicherweise an unseren Feierlichkeiten teilnimmt.
Hierbei bieten die digitalen Werkzeuge ein enormes Potenzial. Ich frage die Leiterin der Gedenkstätte, Andrea, ob ihr euch einen Online-Kurs zur Geschichte des Lagers Ravensbrück vorstellen könntet, der in mehreren Teilen von jeweils ca. 20 Minuten ablaufen würde. Und das alles mittels Werkzeugen einer Technologie, die uns just durch die Pandemie vertrauter geworden ist.
Ich möchte nun näher auf die Ziele eingehen, die wir uns für die Zukunft des IRK setzen sollten:
Unsere Aufgabe im Laufe der Jahre war es, die Überlebenden zu unterstützen und ihren Stimmen Gehör zu verschaffen, jedoch sicher nicht, selbst Zeitzeuginnen zu sein. Deshalb glaube ich heute, dass wir uns nicht darauf beschränken dürfen, ihrer zu gedenken und sie zu würdigen, sondern dass wir sie immer in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen müssen, um ihre Leiden und Opfer als Mahnung zu zeigen, damit sich ihre Erfahrungen nicht wiederholen.
Wir wissen, dass unsere Mütter durch eine gemeinsame Geschichte verbunden waren, die sie zu "Schwestern" hat werden lassen, und die über viele Jahre Garant des gegenseitigen Verständnisses und des gemeinsamen Wirkens war, auch wenn es interne Konflikte gegeben haben mag. Aber ich glaube, dass sie das Hauptziel nie aus den Augen verloren haben: ihr Erlebtes nicht zu vergessen und den Ort ihres Leidens zu bewahren. Geschichte und Erinnerung waren für sie miteinander verbunden, da sie selbst sowohl Protagonistinnen als auch Erzählerinnen waren. Nur sie konnten wirklich wissen, was die Deportation, die Lager, der Terror, der Hunger, die Schmerzen, die Kälte, die Mühsal bedeuteten. Wir können es uns vorstellen, aber wir können es nicht "wissen". Die einzigen wirklichen Stimmen Überlebender im Komitee sind heute die von Stella, Ib, Barbara, und Evgenija.
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir klar begreifen, dass die Kluft zwischen Geschichte und Erinnerung mit der Zeit immer größer wird. Wir müssen deshalb einige Fixpunkte setzen.
Ich stelle Fragen, die wir wohl alle beantworten können.
Aus wie vielen Ländern kamen die Frauen von Ravensbrück? Wir wissen es, es sind etwa 40. Was waren ihre Vergehen? Es waren politische Gegnerinnen der Nazis, Jüdinnen, Zeuginnen Jehovas, Sinti und Romnija, sogenannte Asoziale (darunter auch Lesben), Prostituierte und Kriminelle. Was war ihr Schicksal? Wer dem Dritten Reich nicht nützlich war, den erwartete die Gaskammer. Wer ausgebeutet werden konnte, musste zur Zwangsarbeit. Wie wurden sie wahrgenommen? Als minderwertige Wesen, ohne Rechte und ohne eigenen Willen, zur vollen Verfügung, wofür auch immer.
Wenn wir für eine Zukunft arbeiten wollen, die die Werte und Prinzipien respektiert, für die unsere Mütter gekämpft haben und für die so viele ihrer Kameradinnen gestorben sind, dürfen wir diese Antworten, über die wir uns, wie ich glaube, alle einig sind, niemals vergessen. Genauso wenig dürfen wir die eigentliche Ursache für all das, den Nazifaschismus und die Gründe für seine Entstehung, aus den Augen verlieren. Und wir dürfen nicht die Komplizen vergessen. Nicht um eine Form von postumer Justiz anzustrengen, sondern weil wir, wenn wir sie nicht identifizieren, Gefahr laufen, nicht Jenes zu erkennen, was sich jederzeit reproduzieren könnte.
Ich habe bei mehreren Gelegenheiten betont, wie sehr ich mein Land dafür verurteile, das es nie den Mut hatte, mit dem Faschismus abzurechnen, der Italien zuerst in einen Krieg gegen die Spanische Republik geführt und dabei erstmalig in der Geschichte eine Zivilbevölkerung bombardiert und ganze Städte und Dörfer zerstört hat – Beispiel: Guernica - und dann während des Zweiten Weltkriegs an der Seite Hitlers stand, mit allen bekannten Folgen: Verhaftungen, Folter und Deportationen. Aber die Liste wäre lang, denn ich müsste auch über die in Afrika begangenen Gräueltaten sprechen, angefangen mit dem Einsatz von Gas.
Warum erzähle ich euch das? Weil der Generationenvertrag auf dem Wissen um die eigene Geschichte gründen muss. Und weil vor allem auf diesem wiederum die demokratische Kontrolle der Politik eines Landes beruht.
Ich bin zutiefst beunruhigt über das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben: Vorfälle von Diskriminierungen aus verschiedensten Gründen, die nicht akzeptiert werden können.
Unsere Aufgabe muss es daher sein, bei der künftigen Vermittlung der Geschichte der Deportation unserer Mütter mit dem Finger auf jede Handlung, jeden Gedanken oder jede Haltung zu zeigen, die einen Menschen diskriminiert, sei es aufgrund des Geschlechts, der Nationalität, der Religion, der sexuellen Neigung, der politischen Ansichten oder aus anderen Gründen. Aus diesen Gründen wurden unsere Mütter von den Nazifaschisten deportiert.
Wenn wir also wirklich wollen, dass das Komitee eine Zukunft und eine Aufgabe hat, dann besteht das Hauptziel unseres Engagements darin, über das gemeinsame Gedächtnis zu sprechen. Wir wissen, dass Geschichte und Erinnerung jedoch manchmal auseinanderklaffen können, wenn nachfolgende Ereignisse in Konflikt zueinander geraten. Wir wissen, dass die Erinnerung die Identität einer Bevölkerung bildet. Wir wissen aber auch, dass es zu Konflikten mit anderen Erinnerungen kommen kann. Deshalb ist unsere Aufgabe eine schwierige, aber notwendige. Ich frage mich also und ich frage euch, können wir eine Synthese finden, um ein gemeinsames Gedächtnis zu erreichen? Können wir sie in jenen Werten finden, die von einem Krieg mit Füßen getreten wurden, der im Mai 1945 endete? Können wir eine gemeinsame Sprache finden?
Und schließlich: Können wir die Erinnerung an die Lager als Ausgangspunkt betrachten? Wir sind ein Komitee von etwa 30 Personen, aber wir vertreten 130.000 Menschen. Mit anderen Worten, wir vertreten alle, die Polinnen, die Russinnen, die Französinnen, die Norwegerinnen, die Däninnen, die Belgierinnen, die Österreicherinnen, die Niederländerinnen, die Deutschen, die Spanierinnen, die Tschechoslowakinnen, die Ungarinnen, die Sloweninnen, die Italienerinnen und all die anderen. Das ist es, was uns heute vereinen muss, denn sie waren vereint; sie verstanden sich, auch in verschiedenen Sprachen; sie halfen einander, während sie Schläge und Demütigungen riskierten; sie kümmerten sich, wie die Russinnen, um die Kinder der verstorbenen Frauen; sie fanden einen Weg, wie die Polinnen, auch den Jüngsten ihre eigene Sprache beizubringen, damit sie sie nicht vergessen; sie schafften es, um ihre Kameradinnen aufzumuntern, eine Operette zu schreiben, wie Germaine Tillion; wie Rosalia Poropat notierten sie die Namen und Adressen all derer, die ihnen nahestanden, weil sie vielleicht eines Tages die Familien benachrichtigen sollten; und im Siemens-Block versuchten sie, die Arbeit derjenigen mit zu übernehmen, die das geforderte Pensum nicht schafften, um sie nicht auffliegen zu lassen. Die Liste ist sehr lang - ihr kennt sie so gut wie ich - und sie ist ein ganzes Chorgemälde der Menschlichkeit und der moralischen Werte. Dies ist die Lehre, die sie uns hinterlassen haben, und wir dürfen sie nicht preisgeben.
Ich weiß, dass wir die Synthese heute nicht finden werden, aber ich bitte euch inständig, gemeinsam daran zu arbeiten.