geb. am 18.07.1911 in Aker bei Oslo – gest. 23.08.2001 in Oslo,
Lehrerin, Publizistin und Journalistin
Ravensbrück: 19. April 1944 – 07. April 1945, politischer Häftling, Nacht- und Nebel (NN), Befreiung durch Schwedisches Rotes Kreuz, „Weiße Busse“
Mitherausgeberin des Magazins „Kvinnen og Tiden“ (Die Frau und die Zeit),1945 - 1955.
Ausgezeichnet mit der St.-Hallvard-Medaille, der höchsten Auszeichnung der Stadt Oslo, 1995.
Anna Henriette Wegner Haagaas wurde am 18. Juli 1911 in Vestre Aker bei Oslo geboren. Sie studierte Literaturwissenschaft mit den Nebenfächern Philosophie und Deutsch in Oslo. 1938 heiratete sie Øyvind Bie Lorentzen.
Sie war Mitbegründerin der humanistischen Nansen-Schule in Lillehammer vor dem Krieg (1938) - arbeitete dort als Sekretärin und Lehrerin. Mit Beginn der deutschen Besatzung wurde die Schule geschlossen. Anna Henriette zog mit ihrem Ehemann, Øyvind Bie Lorentzen, der ebenfalls als Lehrer arbeitete, nach Kristiansand.
Beide schlossen sich dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung an. Sie beteiligten sich an der Fluchthilfe, Nachrichtenübermittlung und Verteilung von illegalen Flugblättern.
Sie war schwanger, als sie im Sommer 1943 von der Gestapo aufgegriffen und gefoltert wurde. Nach der Entbindung unter widrigen Umständen gelang es mithilfe eines österreichischen Arztes, das Baby an Angehörige zu übergeben.
Am 4. April 1944 wurde sie erst in das Gefangenenlager Grini, dann in das KZ Ravensbrück verschleppt, wo sie am 19. April 1944 ankam. Sie war ein sog. „Nacht- und Nebel-Häftling“, von denen niemand den Aufenthalt wissen sollte, die keine Post oder gar Päckchen erhalten durften und die möglichst vergessen werden sollten.
Anna Henriette Bie Lorentzen gehörte am 7. April 1945 zu den norwegischen Häftlingen, die an diesem Tag mit den sog. “Weißen Bussen“, im Rahmen einer Rettungsaktion des Schwedischen Roten Kreuzes in die Freiheit fahren konnten. Die Busse fuhren über Hamburg nach Padborg (8. April 1945) und von dort nach Malmö, wo sie am 09. April 1945 ankamen.
Als die Widerstandskämpferin im Sommer 1945 in ihre Heimatstadt Oslo zurückkehrte, konnte sie ihr Kind wieder in die Arme schließen.
Bereits in der Gefangenschaft war ihr Plan gereift, eine Zeitschrift für Frauen nach Friedensschluss herauszugeben. Schon ab Dezember 1945 konnte sie diesen Plan umsetzen. Gemeinsam mit Kirsten Hansteen, Kommunistin und erste norwegische Ministerin (Einheitsregierung Juni - November 1945, erstes Kabinett Einar Gerhardsen), war sie Herausgeberin und eine von zwei hauptberuflichen Redakteurinnen des Magazins „Kvinnen og Tiden“ (Die Frau und die Zeit).
Durch die Zeitschrift sollten Frauen animiert werden, eine aktive Rolle im Wiederaufbau einzunehmen. Sie spiegelte nicht nur ein modernes Frauenbild wieder, sondern auch die weit verbreiteten gleichheits- und zukunftsorientierte Überzeugungen im sozialdemokratischen Nachkriegs-Norwegen. "Kvinnen og tiden" propagierte Aufklärungsarbeit im Namen von Demokratie und Gleichstellung. In ihren Artikeln beriefen sich die verschiedenen Autoren stets auf das mythische Zusammengehörigkeitsgefühl aus der Besatzungszeit, das in den Frieden hinübergerettet werden sollte. Obwohl die Zeitschrift politisch neutral konzipiert war, sahen sich die Herausgeberinnen immer öfter dem Kommunismus-Vorwurf in Zeichen des sich verschärfenden Ost-West-Gegensatzes ausgesetzt. Nachdem der Verlag sie 1947 kündigte, gründete sie ihren eigenen; finanziell gefördert durch die schwedische Gutsfrau und liberale Abgeordnete im schwedischen Riksdag Elisabeth Tamm. Die Zeitschrift hatte auf ihrem Höhepunkt 12.000 Abonnenten. Aufgrund der schwierigeren Distribution sank die Zahl stetig bis zu ihrer Niederlegung 1955.
Danach arbeite Henriette Bie Lorentzen wieder als Dozentin an der Staatlichen Industrieschule für Frauen, die spätere Staatliche Pädagogische Hochschule Oslo. Sie unterrichtete Norwegisch und Drama.
Parallel hierzu engagierte sie sich in der Friedensbewegung Norwegens für Menschenrechte und die atomare Abrüstung; unter anderem für Amnesty International, den Verband der politischen Gefangenen 1940–1945 (Foreningen av politiske fanger 1940–1945) und die norwegische Organisation „Großmütter gegen Atomwaffen“ (Bestemødre mot Atomvåpen).
Für ihr zivilgesellschaftliches Engagement erhielt sie 1995 die St.-Hallvard-Medaille, die höchste Auszeichnung der Stadt Oslo.
Quellen: Archiv MGR, Haft-Nr: 35614 und Deutsches Historisches Museum, Berlin (Texte zu einer Ausstellung im Jahr 2015: „1945-Niederlage.Befreiung. Neuanfang“)