12.10.1896 (Mittenwalde) – 23.11.1992 (Berlin) Lehrerin, Fürsorgerin, Volkswirtin
Ravensbrück: Mitte 1942 – April 1945
„Der Grund für meine Verhaftung war, dass ich mich als humanistisch denkender Mensch dem Antifaschismus verschrieben hatte, um die Greueltaten des deutschen Faschismus, des NS-Regimes, in der ganzen Welt nicht mitverantworten zu müssen. Ich habe dazu nicht geschwiegen.“ (Aus einem Brief an den Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg Dr. Manfred Stolpe vom 26.10.1992)
Dr. Hildegard Hansche hat testamentarisch die Gründung einer Stiftung aus Vermögenswerten ihres Nachlasses verfügt. Sie bringt damit ihre Absicht zum Ausdruck, jungen Menschen zu ermöglichen, sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus, dem System der Konzentrationslager und insbesondere mit der Geschichte des Frauen-KZ Ravensbrück historisch-wissenschaftlich zu beschäftigen sowie sich zu Veranstaltungen zusammenzufinden, „die dem antifaschistischen Gedanken dienen.“
Karoline Emilie Hildegard Hansche wurde im Jahr 1896 in Mittenwalde, Kr. Teltow, in der Familie des Dachsteinfabrikanten August Hansche und seiner Frau Luise geboren. Zur Familie gehörten insgesamt fünf Kinder.
Den Besuch des Lyzeums in Luckenwalde mit der angestrebten Reifeprüfung konnte Hildegard aufgrund einer Krankheit des Vaters nicht beenden. Sie ging ihrem Vater zur Hand, las ihm aus Zeitungen und Büchern vor und bildete sich so, auch im Gespräch mit ihrem Vater, ihre eigene Meinung über das gesellschaftliche Geschehen.
Sie schloss sich dem „Wandervogel“ an und identifizierte sich mit den Idealen dieser Jugendbewegung, ein Leben der Wahrhaftigkeit zu führen.
Hildegard bekam ein Stipendium für das Königlich-Evangelischen Lehrerseminar zu Torgau und legte 1915 ihr Examen ab. Mit dieser bestandenen Prüfung wurde sie im November 1915 in den Schuldienst übernommen. Sie bekam zwei Landschulklassen im Kreis Neuhaldensleben, Sachsen-Anhalt, zugewiesen. Ihre Schüler waren hauptsächlich polnische Kinder, deren Eltern als Saisonarbeiter während des Sommers auf dem Gut des Grafen von Gneisenau arbeiteten. Hildegard war entsetzt über die miserablen Lebensbedingungen dieser Menschen.
Die Novemberrevolution 1918 hatte einen nachhaltigen Einfluss auf den weiteren Lebensweg von Hildegard Hansche. Das Ziel, die bestehenden Lohn-und Arbeitsverhältnisse gerechter zu gestalten, entsprach ihren persönlichen Erfahrungen und Überzeugungen. Sie selbst bezeichnete sich später als eine „Novembersozialistin“. Der Verlust ihres Verlobten und ihres Bruders - beide waren 1915 im Krieg gefallen- ließen sie auch zu einer überzeugten Pazifistin werden.
Nach Bestehen der zweiten Lehrerinnenprüfung im Jahr 1919 quittierte sie den Schuldienst, um sich der Sozialarbeit zuzuwenden. Die Ausbildung zur Sozialfürsorgerin absolvierte sie an der Sozialen Frauenschule in Berlin-Schöneberg, an der das Fürsorgerinnen-Seminar von Alice Salomon geleitet wurde. Nach Alice Salomon sollte die Motivation zur sozialen Arbeit ein zutiefst humanistisches Grundbekenntnis zur Gerechtigkeit und Menschenliebe sein. 1922 erlangte sie den Abschluss als staatlich anerkannte Fürsorgerin.
Im Herbst 1922 ging sie nach Frankfurt am Main, um dort an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zu studieren. Die Inflation 1922/23 vernichtete ihre sämtlichen Ersparnisse und sie schien am Ende ihrer Kräfte.
In dieser Zeit lernte sie die „Religiöse Gesellschaft der Freunde“ (Quäker) kennen, durch die ihr eine Stellung als Köchin bei der Quäker-Familie Goodwin in Manchester vermittelt wurde. Für Hilde wurde das englische Quäkertum “das absolut Gute, das einfach Menschliche, das so selten zu erleben ist. Man könnte vor Freude und Leid darüber weinen! Ich durfte arbeiten und nützlich sein, und man hatte mich dafür lieb, war mir Freund.“
Sie hatte neue Kraft geschöpft und kehrte im Herbst 1924 nach Frankfurt am Main zurück. Im Dezember 1925 erlangte sie das Diplom einer Volkswirtin.
1927 promovierte sie bei Prof. Grünberg. In ihrer Dissertation beschäftigte sie sich mit dem Thema „Entstehung, Wesen und Bedeutung der Kampfes gegen die Trusts in den Vereinigten Staaten“.
Seit Oktober 1926 arbeitete Hildegard in Berlin als Geschäftsführerin beim Vaterländischen Frauenverein vom Roten Kreuz. Sie machte aus ihrer politischen Haltung ihrem Arbeitgeber gegenüber keinen Hehl, trat 1926 der SPD und der Angestelltengewerkschaft bei. Zum 31. März 1932 wurde ihr wegen ihrer Mitgliedschaft in der SPD gekündigt. Sie wurde arbeitslos.
Im Herbst 1932 trat sie wieder in den Schuldienst ein und bekam eine Stelle an der Volksschule in Osterburg. Am Wahlsonntag im März 1933, im Ratskeller, wurde sie Zeugin, wie SA-Leute die Reichsflagge vom Turm holten und zerfetzten. Ihr Protest dagegen führte zu ihrer Entlassung aus dem Schuldienst.
Wieder war sie arbeitslos und kehrte nach Berlin zurück. Vorübergehend arbeitete sie als Berufsberaterin im Arbeitsamt Berlin-Nord.
Im September 1933 stellte die Magdeburger Schulbehörde sie wieder als Lehrerin auf Probe in Biere, Kreis Calbe, ein. 1939 wurde sie endgültig zur Beamtin auf Lebenszeit ernannt.
Sie nutzte den Unterricht, um die Kinder und Jugendlichen zu selbständigem Denken anzuregen. Sie nutzte die Spielräume, die der Lehrplan hergab. Im Religionsunterricht betonte sie die Herkunft von Jesus Christus aus einem alten jüdischen Geschlecht, seine Friedensbotschaft und das Gebot der Nächstenliebe. In Geschichte behandelte sie Napoleons Feldzug gegen Russland und stellte das Fiasko des Krieges dar. Sie versucht, dem „Brimborium nationalsozialistischer Überheblichkeit“ aus dem Weg zu gehen.
Bei ihren Schülern war Hildegard Hansche beliebt. Sie unternahmen Ausflüge und Wanderungen. Auf einem der Heimwege ereignet sich ein empörender Zwischenfall. Ein Schüler bespuckte einen Mann mit Davidstern am Revers. Hildegard stelle den Jungen zur Rede. Dieser Vorfall wurde der Schulbehörde gemeldet. Die Gestapo lud sie zur Vernehmung vor.
Im Mai 1942 wurde sie verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis in Magdeburg gebracht. Die Anklage warf ihr die Mitgliedschaft in der SPD vor, außerdem hätte sie gegen das „Heimtückegesetz“ verstoßen. In der Gerichtsversammlung wurde sie zwar frei gesprochen, aber nicht entlassen, sondern in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück geschafft.
In Ravensbrück war sie zunächst in der Pelznäherei, danach in der Schreibstube beschäftigt. Doch sie wurde denunziert und für vier Monate dem Strafblock zugeordnet, wo sie besonders anstrengende körperliche Arbeit verrichten musste.
Hildegard Hansche lernte im Konzentrationslager das –wie sie es nannte -„Wolfsgesetz“ des Überlebens, zuweilen als Kampf der Häftlinge gegeneinander, kennen und Funktionshäftlinge, die sich auf einer ständigen Gratwanderung, einerseits die Ansprüche der SS zufriedenzustellen und andererseits Solidarität mit den Mithäftlingen zu üben, befanden.
Sie fand aber auch Vertraute und Freundinnen. Der Zusammenhalt und die Solidarität im Lager hatte für sie eine überlebenswichtige Funktion.
Ab Juli 1943 musste Hildegard Zwangsarbeit für die Firma SIEMENS leisten. Im Frühjahr 1944 wurde Hilde erneut eine Tätigkeit in der Verwaltung des Lagers zugewiesen: Sie war für die tägliche zweimalige Zählung der Frauen zuständig, dafür musste die Anzahl der Häftlinge und die Anzahl der Toten der letzten Nacht zusammenzählen.
Nach der Befreiung durch sowjetische Truppen ging Dr. Hildegard Hansche nach Luckenwalde und war dort wieder als Lehrerin tätig. Sie wurde Rektorin der Schule. Ihre Mitgliedschaft in der SPD hat sie 1946 erneuert, wurde in die SED übernommen und übernahm die Aufgaben der Schulrätin des Kreises Luckenwalde.
1948 übersiedelte sie wegen politischer Differenzen mit der SED nach Baden-Würtemberg, wo sie bis zu ihrer Pensionierung 1961 in Volksschulen tätig war und sich weiterhin in gesellschaftlich-weltanschaulichen Fragen engagierte. Nach ihrer Pensionierung wurde Berlin-West zu ihrer neuen Heimat. Auch hier blieb sie weiter aktiv, wurde Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN).
1992 verstarb sie in Berlin-Lichterfelde.
(Quelle: dieser Text fußt auf der Veröffentlichung der Dr. Hildegard Hansche Stiftung, Band 1, von Anne-Katrin Ebert, „Dr. Hildegard Hansche (1896-1992). Stiftungsvermächtnis einer Ravensbrückerin“, Fürstenberg 1996)